Frau
Senatorin Hilde Adolf
Abteilung Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales
Birkenstraße 34
28195 Bremen
Betreff: Ihr Schreiben vom 29.09.1999 / Ba/St
Sehr geehrte Senatorin Adolf,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort auf mein Schreiben vom 27 08 1999. Jedoch geht es mir nicht - wie von Ihnen interpretiert - um eine generelle Freigabe von (illegalen) Drogen. Eine freie Verfügbarkeit von harten und/oder stark gesundheitsschädigenden Drogen sollte natürlich weiter verhindert werden. Die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung, Suchtopfern von harten Drogen durch Konsumräume und vermehrte Therapieangebote eine Rückkehr in ein normales Leben zu ermöglichen, sind durchaus ein Schritt in die richtige Richtung und es würde mich freuen zu hören, dass diese Maßnahmen von Ihrem Senat unterstützt werden.
In erster Linie galt mein Brief einem Umdenken in Bezug auf die leichte Droge
Hanf, der in den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten genossen wird und
keineswegs zu sozialer Degeneration und schwerer körperlicher Sucht bzw. Schäden
führt.
Das Hauptproblem bei der Beurteilung dieses Anliegens ist allerdings die undifferenzierte
Betrachtungsweise von Drogen und der jeweiligen Konsumentengruppen von politischer
Seite - welche bei einem Vorschlag wie meinem gleich von einer generellen Freigabe
aller Drogen und „Sodom und Gomorra" redet. Durch diese Haltung vermittelt man
dem Normalbürger, dass der für alle offensichtlich am sozialen Abgrund lebende
Harduser und Mischkonsument von der Bahnhofsgegend der typische Repräsentant
für alle Drogenbenutzer (komischerweise nicht für Raucher und Trinker) ist.
Auf Grund dieser Betrachtung erliegen auch politisch Entscheidende letztendlich
dem Glaube, das auch Genußkonsumenten leichter Drogen grundsätzlich in einem
starken Abhängigkeitsverhältnis stehen und am Ende als Heroinsüchtige sterben,
was im Gegenzug jeden normalen Weinfest- oder Kirmesbesucher zwangsläufig zum
Spiritus trinkenden Alkoholiker mit kaputter Leber machen würde.
Für mich stellt sich die Frage ist ob die Zuständigkeiten für dieses Problem in Ihrem Fall nicht falsch vergeben ist, da das Einsatzfeld Ihrer Abteilung die Suchtkrankenhilfe betrifft (d.h. Menschen die aus persönlichen, gesellschaftlichen oder sozialen Gründen starken Rauschmittelmißbrauch betreiben) und da auch der Bereich für Jugend - der ja wohl eher im präventiven und schulenden Bereich tätig ist - in Ihrem Senatsressort liegt. Die Aufgabe Ihrer Bereiche ist es meiner Auffassung nach, Kinder und Jugendliche ausreichend aufzuklären um einen zukünftigen Drogenmißbrauch von Ihrer Seite zu verhindern, sowie Suchtkranken einen anderen Weg zur Problembewältigung zu vermitteln. Dieses ideelle Denken und das Streben nach einer Drogenfreien Zukunft führt in unserem Fall - dem Entkriminalisierungsversuch von 5,5 -7,5 (offizielle Studie für das Landgericht Lübeck) hanfkonsumierenden Bundesbürgern - aber offensichtlich zu Konflikten.
Durch die von mir angesprochenen Maßnahmen wird es natürlich zu keiner Lösung von Drogenproblemen in unserer Gesellschaft kommen, da diese nicht durch Hanf erzeugt/gesteuert werden. Jedoch könnten mit den (auch im Moment fließenden) Geldern, die bei einer Freigabe und Entkriminalisierung von Hanf erwirtschaftet werden könnten, die Aktionen z.B. Ihres Referats erheblich wirkungsvoller gestaltet werden und die aktuelle Lage der Hanf - Genußkonsumenten wäre entschärft. Hierbei stellt sich sowieso die generelle Frage, ob es nicht zweckmäßiger wäre steuerliche Einnahmen (Alkohol, Tabak, Kaffee) direkt im betreffenden Bereich zu verwenden (z.B. Prävention, Folgekosten bei Mißbrauch), statt durch Umverteilungen andere Finanzlöcher im Haushalt zu stopfen, was unweigerlich zu den aktuellen Mißständen und einer Verzerrung der finanziellen Möglichkeiten führt. In dem vorgeschlagenen Konzept wäre eine „Steuerung des Konsums" - wie er auch von Ihnen gewünscht wird - eher möglich.
Wäre es nicht wesentlich einfacher Konsumenten / Besitzer kleiner versteuerter
Mengen Hanf in Ruhe zu lassen, und nur z.B. im aktiven Straßenverkehr mit effizienten
Tests zu verfolgen und nach Art der Alkoholsünder zu bestrafen, anstatt sie
jedesmal erkennungsdienstlich zu behandeln und die Strafverfolgungsverfahren
anlaufen zu lassen (um sie je nach Bundesland bei kleinen Mengen wieder einzustellen)?
Abgesehen davon wissen Sie so gut wie ich, dass ein solcher Vorfall - egal wie
geringfügig - bisher immer zu Einträgen in irgendwelchen Akten geführt hat,
die letztendlich die Zukunft der Betroffenen wesentlich (und negativ) beeinflussen
können. Wollen Sie überzogene amerikanische Zustände schaffen (oder die Zustände
bei uns bezüglich Hanf erhalten), in denen Vorstrafen für jugendliche Zigarettenraucher
möglich sind, was letztendlich einen kriminellen Grundstein für die weitere
Entwicklung der Jugendlichen legt?
Der von Ihnen angesprochene internationale rechtliche Rahmen von Single Convention
und Suchtstoffübereinkommen sind meiner Auffassung nach Papiere, die einer dringenden
Nachbesserung bedürfen und führen keineswegs dazu meine Ausführungen als Illusion
abzutun.
Sie würden sich wahrscheinlich der Aussage Ihrer Berliner Kollegin anschließen,
dass Länder mit einer liberaleren Drogenpolitik (Niederlande) keine wesentlich
geringeren Suchtprobleme haben und deshalb in Ihren Augen gescheitert sind.
Für mich ist dies jedoch eher ein Beleg dafür, dass Prognosen über einen steigenden
Drogenkonsum im Legalisierungsfall unsinnig sind, und das es sich bei der Drogenmißbrauchsproblematik,
die auf unterschiedlichste Drogen zurückgreift, eher um ein permanentes gesellschaftliches
Problem handelt. Das generelle Problem der holländische Drogenpolitik liegt
meiner Meinung nach eher im Duldungskonzept welches dort verfolgt wird (und
nur so wg. Int. Verträgen verfolgt werden kann), da zwar der Konsument straffrei
bleibt, aber Anbau, Handel und Verkauf eigentlich verboten sind, was zu dem
Paradoxon führt, das einige Geschäfte gegen 500,- Gulden monatliche Abgabe Hanf
verkaufen dürfen, diesen aber eigentlich nicht legal beziehen können, was wiederum
zu einer künstlichen Belebung des Schwarzmarktes und zu einer automatischen
Vermischung mit anderen Produktpaletten, die auf diesem erhältlich sind, führt.
Es freut mich zu höhren, dass bereits vor 4 Jahren jemand einen ähnlichen Vorschlag
in Ihrem Hause vorgestellt hat. Da sie den damaligen Vorschlag nicht wünschenswert
fanden / finden, können Sie mir sicher mitteilen welche Vorteile / Veränderung
durch die Ablehnung erreicht werden konnten und welche positiven Verbesserungen
/ Rückgänge Sie durch die Verfolgung der momentanen Politik erreicht haben.
Oder gibt es diese nicht?
Wie wäre es einmal offensiv auf eine neue Art mit Hanf umgehen ohne den Fortschritt
als Rückschritt oder Nachgeben in unserer soziale Entwicklung zu empfinden?
Mit freundlichen Grüßen
Harald Muselmann