Frau
Beate Martonné-Kunarski
Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport
Beuthsttaße 6-8
10117 Berlin-Mitte

Betreff: Ihr Schreiben vom 08.10.1999 / VG14

Sehr geehrte Frau Martonné-Kunarski,

ich danke Ihnen für Ihre Antwort auf mein Schreiben an Frau Senatorin Beate Hübner vom 27 08 1999.
Jedoch geht es mir nicht - wie von Ihnen interpretiert - um eine generelle Freigabe von (illegalen) Drogen. Eine freie Verfügbarkeit von harten und/oder stark gesundheitsschädigenden Drogen sollte natürlich weiter verhindert werden. Die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung, Suchtopfern von harten Drogen durch Konsumräume und vermehrte Therapieangebote eine Rückkehr in ein normales Leben zu ermöglichen, sind durchaus ein Schritt in die richtige Richtung und es freut mich zu hören, daß diese Maßnahmen von Ihrem Senat unterstützt werden.

In erster Linie galt mein Brief allerdings einem Umdenken in Bezug auf die leichte Droge Hanf, der in den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten genossen wird und keineswegs zu sozialer Degeneration und schwerer körperlicher Sucht bzw.Schäden führt. Das Hauptproblem bei der Beurteilung dieses Anliegens ist allerdings die undifferenzierte Betrachtungsweise von Drogen und der jeweiligen Konsumentengruppen von politischer Seite - welche bei einem Vorschlag wie meinem gleich von einer generellen Freigabe aller Drogen und „Sodom und Gomorra" redet.
Durch diese Haltung vermittelt man dem Normalbürger, dass der für alle offensichtlich am sozialen Abgrund lebende Harduser und Mischkonsument von der Bahnhofsgegend der typische Repräsentant für alle Drogenbenutzer (komischerweise nicht für Raucher und Trinker) ist. Auf Grund dieser Betrachtung erliegen auch politisch Entscheidende letztendlich dem Glaube, das auch Genußkonsumenten leichter Drogen grundsätzlich in einem starken Abhängigkeitsverhältnis stehen und am Ende als Heroinsüchtige sterben, was im Gegenzug jeden normalen Weinfest- oder Kirmesbesucher zwangsläufig zum Spiritus trinkenden Alkoholiker mit kaputter Leber würde.

Die Frage ist ob die Zuständigkeiten für dieses Problem in Ihrem Fall nicht falsch vergeben ist, da das Einsatzfeld Ihrer Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport - wie eindrücklich dargestellt - ja wohl eher im präventiven und schulenden Bereich liegt. Ihre Aufgabe ist es meiner Auffassung nach, Kinder und Jugendliche ausreichend aufzuklären um einen zukünftigen Drogenmißbrauch von Ihrer Seite zu verhindern. Dieses Zukunftsdenken und streben nach einer Drogenfreien Zukunft führt in unserem Fall - dem Entkriminalisierungsversuch von 5,5 -7,5 (offizielle Studie für das Landgericht Lübeck) Bundesbürgern von denen eventuell 5-10% zu den offiziell präsentierten Suchtopfern unserer Gesellschaft zählen- aber offensichtlich zu Konflikten.

Durch die von mir angesprochenen Maßnahmen wird es natürlich zu keiner Lösung von Drogenproblemen in unserer Gesellschaft kommen, da diese nicht durch Hanf erzeugt/gesteuert werden. Jedoch könnten mit den (auch im Moment fließenden) Geldern, die mit einer Freigabe und Entkriminalisierung von Hanf erwirtschaftet werden, die Aktionen z.B. Ihres Referats erheblich wirkungsvoller gestaltet werden und die aktuelle Lage der Genußkonsumenten wäre entschärft. Hierbei stellt sich sowiso die generelle Frage, ob es nicht Zweckmäßiger wäre steuerliche Einnahmen (Alkohol, Tabak) direkt im jeweiligen Bereich zu verwenden (Prävention, Folgekosten bei Mißbrauch).

Wäre es nicht wesentlich einfacher Konsumenten / Besitzer kleiner versteuerter Mengen legalisierter Drogen in Ruhe zu lassen, und nur z.B. im aktiven Staßenverkehr mit effizienten Tests zu verfolgen und nach Art der Alkoholsünder zu bestrafen, anstatt sie jedesmal Erkennungsdienstlich zu behandeln und die Strafverfolgungsverfahren anlaufen zu lassen (um sie je nach Bundesland bei kleinen Mengen wieder einzustellen)? Die Vorteile die in den Bereichen Arbeitsmarkt, Steuern und soziale Entwicklung durch eine tolerantere Politik gegenüber Hanf erreicht werden können, habe ich in der Anlage meines letzten Schreibens wohl mehrfach aufgezeigt.

Ihre Aussage, das Länder mit einer liberaleren Drogenpolitik (Niederlande) keine wesentlich geringeren Suchtprobleme haben und deshalb in Ihren Augen gescheitert sind, kann ich nicht unterstüzen. Für mich ist dies eher ein Beleg dafür, dass Prognosen über einen steigenden Drogenkonsum im Legalisierungsfall unsinnig sind, und das es sich bei der Drogenmißbrauchsproblematik, die auf unterschiedlichste Drogen zurückgreift, eher um ein permanentes gesellschaftliches Problem handelt. Das generelle Problem der holländische Drogenpolitik liegt meiner Meinung nach eher im Duldungskonzept welches dort verfolgt wird, da zwar der Konsument straffrei bleibt, aber Anbau, Handel und Verkauf eigentlich verboten sind, was zu dem Paradoxon führt, das einige Geschäfte gegen 500,- Gulden monatliche Abgabe Hanf verkaufen dürfen, diesen aber eigentlich nicht legal beziehen können, was wiederum zu einer künstlichen Belebung des Schwarzmarktes und zu einer automatischen Vermischung mit anderen Produktpaletten, die auf diesem erhältlich sind, führt. Die von Ihnen angesprochenen repessiven Maßnahmen in der dortigen Drogenpolitik, sind wohl eher auf internationalen Druck (USA, Single convention, Suchtstoffübereinkommen, usw.) zurückzuführen als auf eigenen Antrieb und es bleibt noch offen inwiefern diese neuen offiziellen Statements in Taten umgesetzt werden.

Wie wäre es einmal offensiv auf eine neue Art mit Hanf umgehen ohne den Fortschritt als Rückschritt oder Nachgeben in unserer soziale Entwicklung zu empfinden?

Mit freundlichen Grüßen

Harald Muselmann